Lieber tot als modern? Eine Begeisterungsrede für die alten Sprachen
Seit viereinhalb Jahren besuche ich das Bismarck-Gymnasium Karlsruhe, eine humanistische Schule. Humanistisch bedeutet zum einen, dass bei uns klassische Sprachen wie Latein und Altgriechisch unterrichtet werden. Zum anderen werden Werte wie Toleranz und Loyalität großgeschrieben. Das merke ich vor allem in dem offenen Umgang zwischen Schülern und Lehrern. An unserer Schule lernen alle Schülerinnen und Schüler ab der fünften Klasse Latein und später bei der Profilwahl für die achte Klasse wählen wir zwischen Französisch, NWT und Altgriechisch. Ich habe mich entschieden beide alten Sprachen zu lernen und bin immer noch glücklich mit meiner Wahl.
Aber einige Menschen in meinem Umfeld sagen, es bringe doch nichts tote Sprachen zu lernen. Es sei nur Zeitverschwendung und später bräuchte ich sie nicht mehr. Ich solle meine Zeit lieber darin investieren, moderne Sprachen wie Französisch oder Spanisch zu lernen. Unterschiedliche Sprachen können jedoch ganz verschiedene Lernziele bieten. Moderne Fremdsprachen ermöglichen es, mit anderen Menschen in ihrer Sprache zu kommunizieren. Ebenso lernen wir heutige Kulturen und Lebensweisen anderer Nationen kennen und verstehen. Durch Latein können wir einen Blick für den Aufbau von Sprache entwickeln. Denn Latein hat ein klar strukturiertes Grammatiksystem und wenn wir uns viel damit beschäftigen, bekommen wir mit der Zeit ein Gefühl für die Funktionsweise der Sprache. Zudem ist Latein die Grundlage aller romanischen Sprachen, wie Französisch, Spanisch, Italienisch, Rumänisch, daher lernen wir durch Latein diese Sprachen deutlich einfacher und schneller. Da viele englische Wörter ihren Ursprung im Lateinischen haben, fällt das Vokabellernen auch in Englisch leichter.
Die unterschiedlichen Lernziele können mal mehr und mal weniger nützlich und hilfreich sein. Wichtig ist nur, dass wir beide Chancen erkennen und nicht eine Sprache danach bewerten, dass sie nicht die Möglichkeiten der anderen bietet.
An Latein und Griechisch gefällt mir sehr gut, dass ich Einblicke in die Kultur der Antike gewinne. Natürlich ist jetzt einzuwenden, dass dies auch möglich ist, wenn man schon übersetzte Texte liest. Jedoch liegt für mich das Besondere darin, die Texte in den Originalworten zu lesen. Für viele Wörter aus dem Lateinischen und Altgriechischen gibt es ganz unterschiedliche Übersetzungsmöglichkeiten und davon muss nicht immer eine richtig und die andere falsch sein. Wenn ich die Texte also im Original lese, kann ich mit meiner eigenen Wortwahl auch ein wenig meine Interpretation einfließen lassen.
Ein weiterer Vorteil ist, dass ich durch das Erlernen der alten Sprachen sehr viel mehr Fremdwörter verstehe. Dies hilft mir beim Lesen von Texten, da ich mir recht schnell die Bedeutung herleiten kann. Auch nutze ich mittlerweile bei meinen eigenen Texten gezielter Fremdwörter, um lange Umschreibungen im Deutschen zu vermeiden. Allerdings lernen heutzutage immer weniger Schülerinnen und Schülerinnen diese schönen und hilfreichen Sprachen. Ich finde dies sehr schade, denn Latein und Altgriechisch sind durchaus Sprachen, die den eigenen Horizont erweitern. In diesen Fächern befassen wir uns nicht nur mit allgemeinen Informationen über das Altertum, sondern mit einzelnen Menschen, ihrer Religion und Philosophie. Wenn ihr euch also nicht nur gerne mit der Antike, sondern auch mit den Menschen, die damals lebten, ihren Gedanken und Gefühlen beschäftigen und dabei ein besseres Sprachgefühl entwickeln und euch eine Grundlage für das Erlernen weiterer Sprachen aneignen möchtet, dann seid ihr sehr gut dafür geeignet, diese „toten“ Sprachen zum Leben zu erwecken.
Lieber tot als modern? – Nein! – Tote Sprachen sind modern!
Frieda Wagner